Mache mich nackt und zeige mich.
Stelle mich vor den Spiegel, öffne die Augen und sehe hin.
Ich bin Wanja.
Mit zwei wundervollen Frauen habe ich drei wundervolle Kinder.
Ich bin vollkommener Schöpfer, Partner und Vater.
Ich bin Wanja
Und ich bin ein Versager.
Ich schreibe heute von meinen beiden niederländischen Kindern.
Mir laufen die Tränen, wenn ich von ihnen schreibe.
Vor dem Spiegel stehend weine ich für mich, für dich und für sie.
Wir weinen füreinander.
Wir lachen füreinander.
Wir führen Krieg füreinander.
Wir verstehen uns nicht füreinander.
Wir öffnen die Augen füreinander.
Wir lieben füreinander.
Wir atmen füreinander.
Mein großer Sohn wird im Februar zehn Jahre alt.
Seit 6 Jahren, seitdem ich mit seiner Mama getrennt bin, verbringt er jede zweite Woche mit mir. Kind, Mama und Papa, wir sind eine Familie, auch wenn wir nicht zusammen leben. Unserem Sohn geht es wunderbar. Er hat sein Zimmer hier im Bauwagen, gestern haben wir es gemeinsam aufgeräumt. Gerade stand ich in seinem Zimmer, mit dem Staubsauger in der Hand und die Tränen liefen los. Und ich wusste, ich muss den Staubsauger stehen lassen und von Vaterschaft schreiben.
Vom Versagen und Nicht-Versagen.
Von Elternliebe.
Genau jetzt.
Meine beiden kleineren Kinder leben in den Niederlanden mit ihrer Mutter. Sie stammt von dort, doch als unsere Liebe begann, zog sie zu mir nach Deutschland. Sie hatte auch einen Sohn im selben Alter meines Sohnes. Die beiden wurden Brüder. Brüder der Herzen. Sie lieben sich bis heute. Unsere Liebe war Heilung für uns Beide.
Und wir waren stürmisch und bald war sie schwanger. Unsere Tochter wurde geboren und etwas mehr als ein Jahr später erwarteten wir einen Jungen. Doch unsere Beziehung war nicht mehr heilsam. Sie war zerstörerisch und für niemanden mehr dienlich.
Es waren Brüche geschehen. Grenzen waren übertreten worden, die niemals übertreten werden dürfen. Der Raum unserer Liebe war dunkel geworden.
Es war Zeit zu gehen und auch das Gehen ist ein Dienst der Liebe, selbst dann, wenn es nicht verstanden wird, schmerzlich ist und weitreichende Konsequenzen hat.
Ich wusste was passieren würde und ich trage die volle Verantwortung.
Sechs Monate nach der Trennung zog sie zurück nach Holland mit ihrem Sohn und mit unseren beiden Kindern.
700km entfernt von unserem letzten Wohnort.
Ich hätte auf dem Rechtsweg dagegen vorgehen können und ich hatte sehr gute Chancen zu gewinnen. Doch dieser Gewinn wäre eine Niederlage gewesen. Sie hatte in Deutschland nie wirklich Anschluss gefunden und wäre nicht glücklich geworden.
Das wussten wir beide.
Hinterher zu ziehen war keine Option, denn das hätte die Familie meines großen Sohnes zerrissen. Ich konnte nichts anderes tun als zu sehen, was passiert.
Zusehen, wie meine Kinder fortziehen, mein kleiner Sohn noch im Bauch der Mutter.
Er kam in den Niederlanden auf die Welt ohne das ich dabei sein durfte. Ich erfuhr von seiner Geburt und von seinem Namen per WhatsApp. Kurz darauf wurde unsere Tochter schwer krank, wir wussten nicht ob sie überleben würde und eine Schar von Ärzten rätselte über Wochen über die Ursache der Symptome. Ich ließ alles stehen und liegen und reiste sofort in die Niederlanden. Auf der Intensivstation hielt ich zum ersten Mal meinen zwei Wochen alten Sohn auf den Armen. Auf dem Krankenhausgelände ging ich mit ihm in der Trage spazieren während die Ärzte meine vollkommen verängstigte Tochter untersuchten. Ich konnte kaum etwas sehen, denn aus meinen Augen spritzen unentwegt die Tränen.
Wenige Monate später, meiner Tochter ging es besser und ich war zurück in Deutschland, brach meine Welt in sich zusammen. Tiefste Verzweiflung zwang mich auf den Boden. Ich kann in Worten nicht beschreiben, wie dunkel es in mir wurde. Mein Körper, mein Geist und meine Seele wurden zu einem schwer sich in Krämpfen windenden und verziehenden Schmerzball. Jedes Licht, jedes Geräusch und jeder äußere Eindruck war die blanke Überforderung. Hätte ich keine Kinder gehabt, wäre ich von der nächsten Brücke gesprungen. Es war die Hölle und ein lang anhaltender Tieftauchgang im Misthaufen.
Ich wusste, dass ich bleiben muss und hielt mir ein Kissen auf den Kopf.
So viel Scham, erschreckender Absturz und pure Verzweiflung.
Versager!
Es war so viel Schmerz, dass ich noch nicht einmal mehr weinen konnte.
Ich konnte gar nichts mehr.
Nichts.
In diesem Moment schrieb ich Sophie. Schrieb ihr von meinem Sturz und das ich nicht wusste wie ich noch einen einzigen Tag überleben sollte. Zu dieser Zeit, es ist jetzt drei Jahre her, war Sophie noch mit dem Vater ihrer Kinder zusammen. Es war realistisch gesehen undenkbar dass wir wieder ein Paar werden würden. Im Schlaf träumte ich oft von uns.
Doch im Wachbewusstsein verbot ich mir solche Träumereien.
Ich wusste das wir uns beide bis in die Unendlichkeit liebten. Wir hatten uns wenige Monate zuvor gesehen und uns, so wie all die 11 Jahre unserer Trennung, begehrend angesehen.
Doch unsere Liebe konnte nur wieder leben, wenn Sophie kommen würde.
Für mich galt es bei mir selbst zu bleiben und ihre Familie zu respektieren.
Und in diesem Moment konnte ich gar nichts. Ich brauchte Hilfe und zwar dringend.
In den darauffolgenden zwei Jahren erhielt ich Begleitung von Sophies Mama. Das war die Hilfe die Sophie mir auf meinen Hilferuf vermittelt hatte. Ich nahm zwei Jahre ein Anti-Depressivum welches mir half mein Leben umzubauen, mich halbwegs als Mensch zu fühlen, für meinen Sohn da zu sein und regelmäßig nach Holland zu meinen anderen Kindern zu reisen.
Zum ersten Mal in meinem Leben erlebte ich, wie es ist, wenn einem in Aufrichtung und Mitgefühl der Raum gehalten wird. Regelmäßig konnte ich nun meine Tränen weinen, sprechen und langsam den Raum für mein Inneres öffnen. Den Raum öffnen, den ich so lange krampfhaft zugehalten hatte.
Der Dienst, den mir Sophies Mama erwiesen hat, könnte größer nicht sein. Ich verneige mich bis heute in Dankbarkeit und ich werde es ihr niemals vergessen.
Ohne sie wäre ich jetzt nicht hier.
Und Sophie kam in mein Leben. In den Zeiten der tiefen Dunkelheit war sie mein Anker für die Ehrfurcht und das Licht. Unsere Begegnung bahnte sich eine Weile an und vor genau einem Jahr sahen wir uns zum ersten Mal wieder.
So richtig. Hier im Bauwagen. Eine Explosion der Ekstase.
Wir verbrachten mehrere Tage außerhalb der Zeit auf Wolke drölfzigtausend.
Und am Tag nachdem sie wieder gefahren war, erlebte ich einen Moment, den ich bis heute nicht anders beschreiben kann als eine Reinkarnation.
Ich öffnete meine Augen wie zum ersten Mal und sah Licht.
Unendlich viel Licht.
Meine Wurzel, meine Krone und mein Herz öffneten sich immer weiter und ich erhielt plötzlich Zugang zu höherem Wissen, öffnete mich, meine Wahrheit zu sprechen und alles gehen zu lassen, was mir nicht entspricht.
Ich erfahre nicht das Leben und das Leben erfährt nicht mich.
Denn ich bin das Leben und ich erfahre mich.
JA, ich bin ich da und ich nehme mich.
Und heute, ein Jahr später, kann ich sagen:
JA, ich bin da und ich nehme mich & ich gebe mich.
Mir wurde ein Raum gegeben, so dass ich mich neu gebären konnte.
Und wenn du es wünschst, gebe ich dir den Raum, so dass du dich neu gebären kannst.
Mit offenen Armen stehe ich dort am Ende des Tunnels und leuchte dir den Weg.
Das was sich jetzt vielleicht anfühlt wie die Hölle, wird dein Himmel sein.
Ich weiß es.
Es ist die Wahrheit.
Wir sind hier, um uns nach Hause zu leuchten.
Und wir tun es gemeinsam, durcheinander und füreinander.
So verneige ich mich vor meinen Eltern, vor den Frauen, die meine Partnerinnen waren und vor meiner Königin.
Ich verneige mich vor meinen Kindern.
Und ich verneige mich vor DIR.
Ihr seid Spiegel und Zeugnis meiner liebenden Präsenz.
Und wenn meine Kinder mich eines Tages einen Versager nennen, so werde ich dies stehen lassen können, ihren Schmerz still bezeugen und mein Herz und meine Arme offen halten, so wie sie jetzt offen sind.
Und wenn meine Kinder eines Tages bei mir leben wollen, so werde ich mein Herz und meine Arme offen halten, so wie sie jetzt offen sind.
Ich liebe euch meine Zauberwesen.
Jedes Mal wenn ich in Holland die Autotür schließe und den Heimweg antrete, laufen meine Tränen über Stunden und ich kann kaum die Straße sehen. Es zerreißt mir schier das Herz. Doch ich atme in mich hinein und halte es offen, denn in mir ist ein Ort eines höheren Wissens. Und an diesem Ort spricht still und klar eine leise Wahrheit.
Und diese Wahrheit sagt:
Es ist alles gut.
Wanja